Gemäß Paragraf 773a Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch (ABGB) kann der Erblasser unter bestimmten Voraussetzungen letztwillig den Pflichtteil eines Nachkommen oder Vorfahren um die Hälfte reduzieren.
Erste Voraussetzung für eine Pflichtteilsminderung ist das fehlende familiäre Naheverhältnis zwischen dem Erblasser und dem Pflichtteilsberechtigten. Mit dem familiären Naheverhältnis ist eine geistig-emotionale, auf persönlichen Kontakt beruhende Beziehung gemeint und beinhaltet jenes Naheverhältnis, welches gewöhnlich zwischen solchen Verwandten herrscht. Für die Beurteilung eines familiären Naheverhältnisses sind laut Rechtsprechung des Obersten Gerichtshof (OGH) die konkreten Lebensumstände der Beteiligten maßgebend.
Relevant sind daher etwa Erwägungen des natürlichen Einflusses von Alter, Gesundheit und Beruf der Beteiligten auf die bestehenden Möglichkeiten einer engeren oder loseren geistig-emotionalen Kontaktpflege. Wesentlich sind zudem die räumliche Entfernung und das familiäre Umfeld des Erblassers und des Pflichtteilsberechtigten.
Eindeutig geht aus der Rechtsprechung des OGH hervor, dass eine geistig-emotionale Beziehung zumindest einen gewissen Zeitraum angedauert haben muss. Eine persönliche Beziehung nur bei der Geburt oder erst am Sterbebett stellt kein Naheverhältnis im Sinne des Paragraf 773a ABGB dar.
Beispielhaft kann ein vermeintlich in Anspruch genommener Vater, welcher sein uneheliches Kind nur dreimal in seinem bisherigen Leben gesehen hat, davon ausgehen, dass kein geistig-emotionales Band zwischen Vater und Kind herrscht.
Liegt kein Naheverhältnis zwischen dem Erblasser und dem Pflichtteilsberechtigten vor, muss überprüft werden, ob das Fehlen des emotionalen Verhältnisses auf das Verhalten des Erblassers zurückzuführen ist. Beispielhaft ist zu hinterfragen, ob Besuche grundlos vom Erblasser gegenüber dem Pflichtteilsberechtigten verweigert wurden. Ist dies der Fall, so hat er kein Recht, den Pflichtteil zu mindern.
DDr. Katharina Müller
... promovierte Juristin und Handelswissenschaftlerin, war zunächst Universitätsassistentin an der Wirtschaftsuniversität Wien und ist seit 1999 als Rechtsanwältin in Wien tätig. Als Partnerin der Kanzlei Willheim Müller Rechtsanwälte, einer national und international tätigen Wirtschaftsanwaltskanzlei, berät sie bei der Gestaltung, Verwertung, Erhaltung, Weitergabe und Aufteilung privaten Vermögens. Ein Schwerpunkt ihrer Tätigkeit liegt im Stiftungsrecht. Katharina Müller hält auch regelmäßig Vorträge zu diesen Themen. Sie ist auch Herausgeberin des Journals für Erbrecht und Vermögensweitergabe sowie des 2010 im Springer Verlag erschienenen Handbuchs „Erbrecht und Vermögensnachfolge“.