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Börse und Zinspolitik
 
10.10.2016

Börse und Zinspolitik Methadon-Abhängigkeit

Von Manfred Lappe
Die Wirkungsmechanismen am Aktienmarkt scheinen klar: Macht ein Unternehmen mehr Umsatz und Gewinn, steigt der Aktienkurs. Sinken hingegen Umsatz und Gewinn, kommt es zu Kursverlusten.
Börse und Zinspolitik Methadon-Abhängigkeit
Dipl.-Kfm. Manfred Lappe ist Inhaber von Manfred Lappe Consulting und Autor zahlreicher Fachbücher zum Thema Finanzen.
Was für ein Unternehmen gilt, gilt auch für die Summe der börslich notierten Unternehmen: dem Aktienmarkt und Aktienindizes. Soweit die Theorie – die Praxis sieht (zum Teil) anders aus, wie vergangene Woche wieder deutlich zu sehen war. In Europa erwarteten die Analysten am Donnerstag keine Unternehmensnachrichten, sondern vielmehr eine Ausweitung des Anleihen-Kaufprogramms durch die EZB (Europäische Zentralbank).

Als diese ausblieb fielen die Märkte. In Amerika warnte am Freitag ein namhaftes Mitglied der Fed (Amerikanische Zentralbank) vor einem zu langen Festhalten an niedrigen Zinsen und Anleihen-Kaufprogrammen. Wirkung: immerhin 400 Punkte oder zwei Prozent Kursverlust.

Kursbewegungen ohne Unternehmensnachrichten – was ist los?

Seit einigen Jahren versuchen die Zentralbanken (Fed erfolgreich, EZB nicht) die Situation der Unternehmen durch Zinssenkungen zu verbessern. Im kurzfristigen Bereich geschieht dies über die Zinssätze der Zentralbanken, im mittel- und langfristigen Bereich durch den Aufkauf von Anleihen durch die Zentralbanken. Zusätzlich wird dem Markt hierbei auch eine immense Liquidität zugeführt, die nach Veranlagungen sucht. Und diese Marktliquidität führt zu Kursgewinnen bei den Aktien, oft genug losgelöst von der Umsatz- und Gewinnsituation. Als Folge schauen die Marktteilnehmer nicht mehr (ausschließlich und so intensiv) auf die Umsatz- und Gewinnsituation, sondern auf den Zentralbank-Stimuli. An sich keine unerwartete Reaktion, wie ja in der Psychologie die Experimente von Iwan Iwanowitsch Pawlow mit seinen Hunden aufzeigen (Pawlow hatte im Verlauf seiner mit dem Nobelpreis ausgezeichneten Experimente zum Zusammenhang von Speichelfluss und Verdauung beobachtet, dass bei Zwingerhunden schon die Schritte des Besitzers Speichelfluss auslösten, obwohl noch gar kein Futter in Sicht war.).

Droge "Zinssenkung"

Aus der Medizin - speziell der Behandlung von Heroin-Süchtigen - kennen wir die Fallgestaltung: Die negativen Auswirkungen von Heroin werden vermieden/verringert, indem Heroin durch den Ersatzstoff Methadon substituiert wird. Mitnichten mit der Folge, dass der Süchtige anschließend geheilt ist. Vielmehr benötigt er jetzt die Ersatzdroge“ Methadon, damit es nicht zu den sehr schmerzhaften Entzugserscheinungen kommt.

Die Situation am Aktienmarkt zeigt es deutlich: Kommt es zu ersten Anzeichen eines Entzugs der Drogen „Zinssenkung“ und „Liquiditätszufuhr“, setzen bei den Akteuren sofort die Zuckungen des Entzugs ein. Kursverluste sind die Folge, ebenso Währungsschwankungen aufgrund der Verschiebung von Kapital aus den Entwicklungsländern zurück in die Industriestaaten. Zwar läuft die Wirtschaft in Amerika längst wieder rund und wurden die Ziele bei der Beschäftigung mehr als erreicht, aus Furcht vor den Wirkungen des Entzugs zögert die amerikanische Zentralbank jedoch immer länger. Sowohl die amerikanische als auch die europäischen Zentralbank scheinen hierbei in der Knebelhaft der Märkte: Jede Entscheidung wird immer auch im Hinblick auf (irrationale) Übertreibungen der Märkte geprüft.

Offiziell wollen die Zentralbanken mit ihren Maßnahmen die Inflationsrate auf zwei Prozent anheben, die Fed zusätzlich auch die Beschäftigung erhöhen (was ihr gelungen ist). Die Inflationsrate als gewichteter Durchschnittspreis eines Warenkorbs ist aber stark von der prozentualen Preisentwicklung der Güter im Warenkorb abhängig. Und diese vom aktuellen Preisniveau, was auch als Basiseffekt bezeichnet wird: Die Ölpreise sind im vergangenen Jahr stark gefallen mit der Auswirkung einer niedrigen Inflation. Bleibt der Ölpreis jetzt nur gleich, so steigt die Inflationsrate aufgrund der Preissteigerungen bei Mieten und Immobilien. Und erwartet der Markt jetzt zusätzlich eine Preiserhöhung beim Öl (z.B. Angebotsverknappung durch OPEC oder Nachfrageanstieg aufgrund von anziehender Wirtschaft), so steigt die Inflationsrate stark – die Zentralbanken müssen dann unerwartet und stark durch Zinserhöhungen gegensteuern.

Niedrige Zinsen sind nicht die Dauerlösung

Wie (jetzt auch) erste Mitglieder der Fed in der Öffentlichkeit sagen, ist ein rechtzeitiger Ausstieg aus den Programmen erforderlich, auch im Hinblick auf deren Nebenwirkungen: niedrige Zinsen erschweren die private und betriebliche Pensionsvorsorge. Hierzu ist es wichtig, die psychologischen Verhaltensmuster des Pawlow’schen Hundes zu durchkreuzen: Die Märkte müssen verstehen lernen, dass die Substitution der niedrigen Zinsen und erhöhten Liquidität durch höhere Beschäftigung oder höher Unternehmensgewinne nicht negativ, sondern gewünscht positiv ist.

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