Biallo.at: Alle haben bisher gebannt auf die Schuldenkrise in den Euro-Ländern geblickt. Jetzt geht Ungarn möglicherweise schon im Jänner das Geld aus. Hat das die Regierung von Ministerpräsident Viktor Orban zu verantworten oder haben zu diesem wirtschaftlichem Niedergang alle Regierungen seit dem Fall des Eisernen Vorhanges beigetragen?
Stefan Rossmanith: Der Ursprung der aktuellen Probleme Ungarns ist nicht in der jüngeren Vergangenheit zu finden, im Gegenteil: Die Staatsverschuldung, die 2001 noch 53 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) betrug, stieg bis 2010 kontinuierlich auf 81 Prozent des BIP an. Vor allem in der Zeit zwischen 2002 und 2006 rutschte der Budgetsaldo deutlich ins Minus. Im Jahr 2006 belief sich das Defizit der öffentlichen Haushalte auf 9,6 Prozent des BIP.
Ungarn musste angesichts der Konjunkturabkühlung, der rapiden Forint-Abwertung und des massiven Abflusses ausländischen Kapitals im Jahr 2008 finanzielle Unterstützung beim Internationalen Währungsfonds (IWF) beantragen – unter der Verpflichtung, seine öffentlichen Haushalte zu konsolidieren. Die Regierung unter Ministerpräsident Orbán, die seit Mai 2010 im Amt ist, hat verschiedene Maßnahmen ergriffen, um Geld in die Staatskasse zu bringen. Dazu zählen die Verstaatlichung der Pensionsfonds ebenso wie die Einführung der Bankensteuer (der höchsten in Europa).
Biallo.at: Ist die eigenständige ungarische Währung für Ungarn ein Vorteil oder wäre es für Ungarn besser gewesen, eine Mitgliedschaft in der Eurozone anzustreben und den Forint aufzugeben?
Rossmanith: Grundsätzlich strebt Ungarn eine Mitgliedschaft in der Eurozone an. In der gegenwärtigen wirtschaftlichen Situation bringt die eigenständige Währung für Ungarn sowohl Vorteile als auch Nachteile. Der wesentliche Vorteil liegt darin, mittels einer eigenständigen Geldpolitik auf exogene Schocks reagieren zu können. Eine Abwertung der eigenen Währung mindert den Anpassungsbedarf der Realwirtschaft im Fall einer Wirtschaftskrise. Tatsächlich hat die jüngere Vergangenheit gezeigt hat, dass osteuropäische Länder im Euroraum (bzw. solche mit fixen Wechselkursen) unter einem wesentlich stärkeren Anstieg der Arbeitslosigkeit in Rezessionsphasen gelitten haben.
Die Nachteile der eigenen Währung liegen darin, dass sich die Konjunkturschwäche, die schlechte Lage der öffentlichen Haushalte und die Probleme des ungarischen Finanzsystems unmittelbar in einer merklichen Abwertung niederschlagen, wodurch sich die Fremdwährungsverschuldung (vor allem des privaten Sektors) erhöht. Zudem kann Ungarn als Nicht-Mitglied der Währungsunion nicht automatisch auf die Hilfe aus dem Rettungsschirm der Euro-Staatengemeinschaft zurückgreifen sondern muss in erster Linie auf den IWF hoffen.
Bei der Kreditwürdigkeit Ungarns gibt es noch genügend Spielraum nach unten
Biallo.at: Die US-Ratingagenturen Moody's, Standard & Poor's (S &P) und zuletzt auch Fitch haben die Kreditwürdigkeit Ungarn bereits auf Ramschstatus herabgestuft. Geht es für Ungarn noch tiefer oder kann es jetzt nur noch aufwärts gehen?
Rossmanith: S & P bewertet Ungarn gegenwärtig mit der Note BB+. Griechenland wird mit CC bewertet. Das heißt, es gäbe noch genügend Spielraum nach unten.
Biallo.at: Ungarn braucht dringend finanzielle Unterstützung durch den Internationalen Währungsfonds (IWF) und die EU-Kommission und liegt dennoch mit IWF und EU-Kommission im Dauerstreit. Kann sich Ungarn das leisten?
Rossmanith: Uneinigkeiten über die Budgetkonsolidierung zwischen der Fidesz-Regierung und dem IWF und die damit verbundene Erreichung der vereinbarten Defizitziele führten 2010 zu einem verfrühten Ende der Finanzhilfe des IWF. Gleichzeitig ließ die ungarische Regierung auch keinen Bedarf mehr an den noch ausstehenden Kredittranchen erkennen. Ungarn versucht seither wieder, sich auf dem internationalen Kapitalmarkt zu refinanzieren – das gelingt allerdings nur unter Inkaufnahme sehr hoher Zinsen. Auf inoffizieller Ebene wurden die Gespräche mit dem IWF bereits im November 2011 wieder aufgenommen. Die EU-Kommission ist ebenfalls im Boot. Allerdings ist das Gesprächsklima durch das jüngst verabschiedete ungarische Notenbankgesetz erheblich getrübt.
Biallo.at: Besteht die Gefahr, dass Ungarn zahlungsunfähig wird und was würde das für die Europäische Union bedeuten?
Rossmanith: IWF und EU-Kommission werden letztlich wohl Ungarn zur Seite stehen, um eine Zahlungsunfähigkeit zu verhindern.
Regierung Orbán lässt keine herausragende wirtschaftliche Kompetenz erkennen
Biallo.at: Ministerpräsident Viktor Orban hat es sich mittlerweile mit allen Banken verdorben – dafür haben eine Banken-Sondersteuer ebenso gesorgt wie die Zwangsumwandlung von Fremdwährungskrediten zu Lasten der Banken. Kann Ungarn ohne Unterstützung durch die Banken aus der Misere herauskommen?
Rossmanith: Die bisherige Politik der Regierung Orbán lässt keine herausragende wirtschaftliche Kompetenz erkennen. Das ungarische Bankensystem – fast zur Gänze in ausländischem Eigentum – ist in der gegenwärtigen Krise der perfekte Sündenbock. Die Gesetzgebung hat überwiegend populistischen Charakter und schwächt den Finanzmarkt nachhaltig. Die Folgen sind eine Einschränkung des Kreditangebotes und die Schaffung eines investitionsfeindlichen Klimas. Insbesondere der für das Land dringende Zufluss ausländischer Direktinvestitionen könnte in diesem Umfeld versickern. Die Frage lautet daher weniger, ob Ungarn ohne Unterstützung durch die Banken aus der Misere herauskommen kann (nein, kann es nicht), sondern eher, ob Ungarn sich ohne Investitionen aus dem Ausland weiter entwickeln kann. Auch in diesem Fall – ein klares Nein.
Biallo.at: Was bietet der Ramschstatur Ungarn Anlegern an neuen Chancen?
Rossmanith: Finanzanlagen in ungarischen Wertpapieren sind derzeit keine Option für risikoaverse Anleger. Wer Osteuropa in seinem Portefeuille haben will, sollte nach Investmentfonds Ausschau halten, die eine entsprechende Risikostreuung bieten.
Mag. Stefan Rossmanith
... ist Chefvolkswirt der BAWAG P.S.K. und im Bereich Strategy & Economics tätig.
Geboren 1964 in Wien, aufgewachsen in Oberösterreich. Abschluss der BHAK Linz 1983, 1984 - 1990 Studium der Volkswirtschaftslehre und Soziologie an der Universität Linz. Seit 1990 bei der P.S.K., Wien, beschäftigt. Seit 1997 Chefvolkswirt der P.S.K., seit 2001 Chefvolkswirt der BAWAG P.S.K. im Bereich Strategy & Economics.