In den aktuellen Verhandlungen über eine Reform der Finanzmärkte warnen jetzt führende Abgeordnete zum Europäischen Parlament vor einer Übermacht der Finanz-Lobby. "Wir, die für die Regulierung der Finanzmärkte und des Bankgewerbes zuständigen europäischen Abgeordneten, stehen täglich unter dem Druck des Finanz- und Banksektors", heisst es in einem Aufruf von 22 Europaabgeordneten von Grünen, Sozialdemokraten, Liberalen, Linken und Konservativen, berichtet orf.at.
Gegengewicht zum Einfluss des Finanzsektors fehlt
Notwendig sei ein unabhängiges und zivilgesellschaftliches Gegengewicht zur Macht der Banken- und Börsenlobby, so die EU-Parlamentarier. Es sei zwar in Ordnung, dass die Branche ihre Standpunkte vertrete, aber "der Mangel an Gegenexpertise erscheint uns als eine Gefahr für die Demokratie", so die Kritik der Abgeordneten. Bei der diskutierten Neuordnungn des Finanzsektors geht es um die Regulierung von Managergehältern, Hedgefonds, Derivaten, die Schaffung einer europäischen Finanzaufsicht und die Kontrolle von Rating-Agenturen. "Die Lobbyarbeit einer Interessengruppe muss in der Tat durch Stellungnahmen anderer ausgeglichen werden", so die Abgeordneten, darunter der SPD-Politiker Udo Bullmann und der Grüne Sven Giegold, so orf.at.
Zum Thema Umwelt und öffentliches Gesundheitswesen sowie im sozialen Bereich für Arbeitgeber und Gewerkschaften gebe es Gegenexpertisen, nicht aber im Finanzsektor, kritisieren die 22 Abgeordneten zum EU-Parlament. Die Zivilgesellschaft müsse deshalb eine oder mehrere Nichtregierungsorganisationen (NGO) bilden.
Zu viele EU-Experten im Dienst der Finanzbranche
EU-Abgeordneter Bullmann fordert, hierfür auch finanzielle Mittel bereitzustellen sowie einen "Produkte-TÜV, der als unabhängige Instanz Finanzprodukte überprüft und entsprechende Informationen für Verbraucher und Entscheidungsträger bereitstellt". Unabhängiger Sachverstand sei zu selten, so die Kritik Bullmanns. Die Mehrzahl der Experten werde von Banken, Fonds oder anderen Finanzmarktteilnehmern beschäftigt. Bereits im Herbst des Vorjahres zeigte eine Studie des Netzwerkes Alter-EU auf, dass die EU-Kommission gerade im Bereich der Finanzindustrie vor allem von Vertretern der Finanzbranche selbst beraten wird. Die Studie wies erstmals den Einfluss der Finanzindustrie auf die europäische Finanzmarktregulierung nach. Der Mitautor der Studie und Experte der Lobby-Kontrollorganisation Corporate Europe Conservatory (CEO), Yiorgos Vassalos, warf Brüssel Anfang des Jahres in einem Interview mit der Website Euractiv Brüssel vor, völlig einseitig Berater zu engagieren. Sie versuche nicht einmal, unabhängige Ökonomen, die es sehr wohl gebe, zu finden. Sie überlasse sich den "Gelüsten der Finanzindustrie".
Bisher haben nach Angaben der Grünen Abgeordnete aus neun Mitgliedsstaaten, die verantwortlich für europäische Gesetzgebungsvorhaben zur Finanzmarktregulierung sind, die Initiative des französischen grünen Europaabgeordneten Pascal Canfin für eine bessere Kontrolle der Finanz-Lobby unterzeichnet. Sie alle sehen im massiven Einfluss der Finanz-Lobby auf die EU Gefahren für die Demokratie.