Nicht nur die Wahrheit ist eine Tochter der Zeit, auch Aufsichtssysteme sind Töchter der Zeit. Nach dem Zweiten Weltkrieg bis zur Annäherung an die Europäische Union Anfang der Neunziger Jahre war Österreichs Aufsichtssystem über den Finanzmarkt ein sehr restriktives: Der Kapitalverkehr war streng reglementiert, Bankgründungen, ja selbst Filialeröffnungen, waren nur nach strenger Bedarfsprüfung möglich, und Versicherungen mussten jedes einzelne Produkt vorab von der Aufsichtsbehörde genehmigen lassen. Österreich war ein kleiner in sich geschlossener Finanzmarkt auf dem das Prinzip galt: Alles, was nicht ausdrücklich erlaubt ist, ist grundsätzlich verboten.
Europa stellte dann das österreichische Aufsichtsregime auf den Kopf: Plötzlich war Alles erlaubt, was nicht ausdrücklich verboten war. Vor allem aber wurden die Grenzzäune weggerissen – und zwar nicht nur Richtung Westen sondern gleichzeitig auch Richtung Osten. Finanzmärkte und Finanzindustrie agieren seither international, die Geld- und Kapitalströme fließen grenzenlos und global.
In diesem liberalisierten und globalisierten Umfeld wurde aber die Aufsicht national belassen. Dementsprechend taten sich im Feld der Regulierung Lücken auf, in die die Finanzmarktteilnehmer hineinstießen, um sich der Aufsicht zu entziehen. Es setzte eine wahre Flucht aus der Bilanz ein: in Geschäftsfelder, die gar nicht oder nur gering reguliert waren (Stichworte: Leasing, Derivate), in außerbilanzielle und/oder intransparente Gesellschaften (Stichworte: „special purpose vehicle“, SPV; Stiftungen), in Off-Shore-Zentren, Kleinstaaten mit lockerer Regulierung und ineffizienter Aufsicht. Bilanzakrobaten, Zockern und Gaunern wurde das Leben allzu leicht gemacht. Mit den allseits bekannten Ergebnissen.
Was muss also geschehen, um der Heerschar an Halunken Einhalt gebieten zu können? Wir müssen die Lücken im Aufsichtssystem, die im Zuge der Liberalisierung und der Globalisierung aufgebrochen sind, so rasch wie möglich schließen. Wir müssen den Schlachtruf der G-20-Gipfel „Kein Markt, keine Produkt, kein Anbieter darf mehr ohne Aufsicht sein“ mit Leben erfüllen.
Dazu brauchen wir globale Mindeststandards in Regulierung und Aufsicht. Dazu brauchen wir auch eine effiziente und effektive internationale Zusammenarbeit der nationalen Aufsichtsbehörden, die von kompetenten zentralen transnationalen Aufsichtsinstitutionen unterstützt werden. Dazu müssen wir die Off-Shore-Zentren schließen oder sie zumindest adäquater Aufsicht unterwerfen. Und dazu müssen wir die Flucht aus der Bilanz stoppen und damit alle Risiken einem ordnungsgemäßen Risikomanagement unterwerfen.
Wenn uns das gelingt, und zwar zumindest im europäischen, wenn nicht sogar globalen Maßstab, dann haben wir im Kampf gegen die Halunken schon sehr viel erreicht. Wir als Aufseher sind dazu jedenfalls bereit und werden Alles daran setzen, das auch umzusetzen.