„Hände weg von Energieaktien“ empfehlen derzeit viele Aktienanalysten. Von einstigen Liebkindern mutierten die Versorger zu den Stiefkindern der Aktienmärkte. Die Gründe sind vielfältig.
Aktien von Energieunternehmen wurden konservativen und vorsichtigen Anlegern stets als sichere Beimischung einer ausgewogenen Geldanlage empfohlen. Strom würde immer gebraucht, lautete die Empfehlung. Doch seit einiger Zeit scheint sich alles gegen die Aktien von Energieunternehmen verschworen zu haben. „Sowohl im Wiener Börsenindex ATX als auch im deutschen Dax waren die Aktien der Versorger in den letzten Monaten unter den Schlusslichtern,“ sagt Monika Rosen, Chefanalystin in der Bank Austria Private Banking.
Kurse gegen den Markttrend im Minus
Während der Index der Frankfurter Börse Dax Mitte des Vorjahres im Einklang mit den internationalen Börsen zu einer Rallye ansetzte und im Jahresabstand nach einer kurzen Korrekturphase immer noch mit rund 20 Prozent im Plus liegt, verlor die Aktie des deutschen Energieriesen Eon mehr als 25 Prozent an Wert. Nicht viel besser erging es dem Kurs der deutschen RWE: Minus 20 Prozent in den letzten acht Monaten. Und auch die Aktie der österreichischen Verbundgesellschaft musste Haare lassen: Minus 25 Prozent in einem Jahr. Vergleichsweise wacker hielt sich nur die EVN-Aktie, deren Geschäftsmodell sich von den anderen genannten deutlich unterscheidet: Plus 13 Prozent in diesem letzten Jahr.
Konservative Werte nicht gefragt
Zunächst lassen sich die aktuellen Kursrückgänge mit reiner Marktpsychologie erklären: In einem euphorischen Börsenumfeld lieben die Investoren das Risiko und lassen als „konservativ“ geltende Versorgeraktien, die im Börsenjargon „defensive“ Werte genannt werden, links liegen. Doch eine genauere Untersuchung des Marktumfelds offenbart, dass Energieunternehmen nicht erst in jüngster Zeit, sondern schon seit einigen Jahren von den Börsenprofis mit Argwohn betrachtet werden: Seit den Höchstständen vor der Krise 2008 haben die Aktien der großen europäischen Strom- und Gasanbieter mehr als zwei Drittel an Wert verloren. Von den beiden österreichischen Anbietern wurde vor allem die Aktie der Verbundgesellschaft vom Marktrend mitgerissen. Sie büßte in fünf Jahren knapp 63 Prozent ein und liegt damit etwa gleichauf mit den deutschen Energieriesen Eon und RWE. Die EVN-Aktie verlor „nur“ fast 44 Prozent.
Es wird zu viel Energie produziert
Das wirtschaftliche Umfeld für Energieunternehmen wird zunehmend rauer: Der steigende Wettbewerb im Strom- und Gasvertrieb, sinkende Margen in der Stromerzeugung und der schnelle Atomausstieg in Deutschland nach dem Atomunfall von Fukushima gipfelten zuletzt in der Bekanntgabe eines massiven Stellenabbaus im deutschen Energiesektor. Insgesamt werden in den nächsten Jahren rund 20.000 Arbeitsplätze abgebaut. Die fortschreitende Regulierung der Netztarife bringt den Unternehmen zwar stabilere, aber auch geringere Spannen und politische Vorgaben wie etwa die Regelung der CO2-Zertifikate schränken die Preisgestaltung ein. Der rasante Ausbau von Windkraft und Solaranlagen hat teilweise zu einem Überangebot und aufgrund der festgesetzten, geförderten Einspeistarife für diese Alternativenergien zu einer deutlichen Marktverzerrung geführt. Die immer noch spürbare Konjunkturkrise führt zudem zu einem geringeren Energieverbrauch als erwartet und die Erschließung enormer Schiefergasvorkommen in den USA heizt zusätzlich den Wettbewerb zwischen den Anbietern an. Unsicherheit herrscht in der Branche auch wegen dringend nötiger Investitionen in neue, leistungsfähigere Netze.
Quelle: Verbundgesellschaft
Günstige Aktien mit ungewisser Zukunft
Die Kehrseite der Kursrückgänge liegt auf der Hand. Versorgerwerte bieten derzeit gute Einstiegsniveaus, fasst Monika Rosen zusammen: „Die KGVs (Anm.: Verhältnis zwischen Aktienkurs und Gewinn pro Aktie) sind günstig und außerdem bringen Versorger auch gute Dividendenrenditen.“ Dennoch will derzeit fast niemand bei Versorgertiteln zugreifen und dass die Energie-Analysten der Deutschen Bank in einem Branchen-Bericht vor wenigen Wochen eine Verkaufsempfehlung für Aktien der Verbundgesellschaft, der deutschen RWE, der E.ON, der französischen EdF und der finnischen Fortum abgaben, macht die Stimmung auch nicht besser.