Tom Flury: Die Schweiz ist ein ‚europe miniature’ inmitten von Europa. Auch wir haben eine Währungsunion die sich quer über Sprachgrenzen, unterschiedlichste Wirtschaftsräume mit einer grossen landschaftlichen, religiösen und ethnischen Vielfalt erstreckt. Je verworrener die Lage im grossen Europa wird, desto deutlicher sticht der Sonderstatus der Schweiz als Hort von Stabilität und Sicherheit hervor. Unser oft zitierter sicherer Hafen basiert auf einem positiven Umgang mit der kulturellen Vielfalt. Europa kann diesbezüglich noch viel von uns lernen – und die Schweiz wäre natürlich froh, wenn Europa das bald macht.
Biallo.at: Die Flucht in den Schweizer Franken hat wieder zugenommen – sollten die Euro-Länder die Schweiz ersuchen, den Schweizer Franken statt des Euro als Gemeinschaftswährung verwenden zu dürfen - Immerhin wird der Franken immer stärker?
Flury: Bestimmte politische Kreise in der Schweiz haben tatsächlich schon entsprechende Angebote gegenüber benachbarten Bundesländern gemacht. Ganz ernsthaft waren die Angebote wohl kaum gemeint. Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass die Grundidee des Euro, nämlich den Frieden in Europa zu sichern, mit einer Ausweitung des Frankenraums besser umgesetzt würde.
Biallo.at: Wie lange kann die Schweiz eine Flucht der Anleger in den Schweizer Franken noch verkraften – gibt es da einen Punkt, wo der Kurs des Schweizer Franken die Schweizer Politiker zum Eingreifen zwingt?
Flury: Der Sonderstatus gestaltet sich allmählich zum ernsthaften Problem. Die Kombination aus sehr tiefen Zinsen und extrem starken Franken wirbelt die Unternehmensbilanzen und die Haushaltsbudgets ganz ordentlich durcheinander. Die politischen Fronten erhärten sich deshalb zunehmend. Viel mehr machen als Abwarten kann man aber nicht. Die Europäische Zentralbank wird die Zinsen so weit anheben müssen, dass sie wieder zum aktiven Wirtschaftsumfeld in Kerneuropa passen und das dürfte den Franken entlasten.
Biallo.at: Anleger flüchten natürlich auch massiv in Gold – könnte das in den nächsten Monaten kippen und parallel zur Krise der Eurozone eine neuerliche Finanzkrise auslösen?
Flury: Die nächste Finanzkrise kommt bestimmt. Krisen gehören zur Evolution der Finanzmärkte. Das Vorhandensein von Gold und die Nachfrage nach dem unverwüstlichen Metall wird aber kaum eine neue Krise verursachen. Die Schuld ist hier viel mehr in der Fehlallokation, falschen politischen Signalen und der Rechtsunsicherheit zu suchen. Gold ist ja in ‚normalen’ Zeiten ein sehr ineffizienter Wertspeicher, der seine Qualität nur in Zeiten der Unsicherheit ausspielen kann. Der Goldpreis wird wieder fallen, wenn die Anleger Vertrauen in die Wirtschaft fassen. Somit dürfte Gold allein keine Krise auslösen.
Biallo.at: Die US-Ratingagenturen setzen mit ihren Ratings nicht nur die Europäische Union unter Druck, sondern auch die USA - haben die USA andere Reaktionsmöglichkeiten auf Druck seitens der Ratingagenturen oder sind sie da so ohnmächtig wie wir das gerade bei der EU erleben?
Flury: Ich glaube man überschätzt manchmal den Einfluss der Ratingagenturen. Auch wenn ihre Einschätzungen zur Kreditwürdigkeit in der Vergangenheit mehr Schlecht als Recht waren, haben sie den Schlamassel sicher nicht verursacht. Das haben sich überschuldete Staaten, Unternehmen usw. selber zuzuschreiben Die Finanzmärkte richten diesbezüglich zurzeit sehr hart. Das kommt daher, dass die Verunsicherung sehr gross und das Vertrauen sehr klein ist. Der Fehler der Rating-Agenturen ist, dass sie wenig zur Verbesserung der Situation beitragen. Trotzdem, die Verteuflung der Rating-Agenturen kommt einer Strategie des „Kill the messenger“ gleich. Aus schweizerischer Sicht wäre es Wünschbar eine Agenturen könnte die Marktunsicherheit vertreiben, das würde den Franken und damit unsere Exporteure entlasten.