Biallo.at: Warum sind wachsende Staatsschulden eine so große Gefahr?
Karl Aiginger: Aus nationaler Sicht ist es unerfreulich, wenn für Zinszahlungen so viel aufgewendet werden muss wie für das gesamte Bildungsbudget, oder wenn ein Drittel der Lohnsteuereinnahmen auf Zinszahlungen entfällt. Damit geht der Spielraum für eine aktive Wirtschaftspolitik verloren und sicher auch die Möglichkeit, bei einer eventuellen Krise noch einmal gegensteuern zu können.
International werden hohe Staatsschulden durch die Finanzmärkte mit höheren Zinskosten "bestraft" und erfordert eine gemeinsame Währung, dass sich alle Länder in einem gemeinsamen Korridor der Wirtschaftspolitik befinden. Die EU hat diesen mit einem maximalen Defizit von 3,0 Prozent und einer maximalen Schuldenquote von 60 Prozent festgelegt.
Biallo.at: Gibt es eine Grenze der Staatsverschuldung, ab der mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Staatsbankrott droht?
Aiginger: Nein, das hängt auch von vielen Parametern ab, zum Beispiel der Höhe der Zinszahlungen und der Höhe des mittelfristigen Wachstums einer Volkswirtschaft, weiters auch von der Finanzierungsart, etwa ob es Inlands- oder Auslandsschulden sind, wie hoch das Potential ist Steuern zu erhöhen ohne die Wettbewerbsfähigkeit zu verlieren, ob es ein Privatisierungspotential gibt, für welche außerbudgetären Schulden der Staat haftet.
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Aiginger: Österreich hat niedrigere laufende Schulden, einen niedrigeren Schuldenstand als andere Länder, ebenso niedrigere Arbeitslosigkeit und ein höheres Wachstum und eine positive Leistungsbilanz. Es besteht keine Gefahr. Dennoch ist Konsolidierung wichtig. Wenn die Staatsquote über 50 Prozent gestiegen ist und die Schulden steigen, dann geht Handlungsspielraum verloren und die Finanzierung der Zukunftsprojekte (Kinderbetreuung, Schulen, Forschung, neue Umwelttechnologien).
Biallo.at: Eine Senkung der Staatsverschuldung via Steuererhöhungen und/ oder Kürzung der Staatsausgaben löst immer politische Verteilungskämpfe aus. Ist es da nicht die Versuchung groß, die Staatsverschuldung mit Hilfe steigender Inflation abzubauen. Da lässt sich die Bevölkerung ja oft leichter täuschen, oder?
Aiginger: Inflation ist keine Lösung. Sie verunsichert die Konsumenten und die Unternehmer und auch der Staat muss - etwas später- höhere Zinsen zahlen. Ich glaube, dass Regierungen gestraft werden wenn sie diesen Weg gehen.
Biallo.at: Die Eurozone ist für einen Teil der Europäischen Union zu einer Schicksalsgemeinschaft geworden. Wenn da nicht alle auf die Einhaltung der Maastricht-Kriterien achten, nützt es doch gar nichts, wenn ein einzelnes Euro-Land seinen Bürgern massive Sparmaßnahmen zumutet. Eine Regierung, die das macht, wird doch sehr schnell abgewählt, meinen Sie nicht?
Aiginger: Es zeigt sich empirisch, dass Regierungen, die rechtzeitig das Sparen forcieren, nicht stärker abgewählt werden als solche, die ein ernsthaftes, gerechtes Sparprogramm vorlegen, dennoch die Zukunft nicht vergessen. Konsolidierung muss von einer positiven Vision ausgehen: wir sparen nicht weil die Finanzmärkte oder die EU es wollen, sondern weil wir die Zukunftsfähigkeit herstellen wollen.
Univ.-Prof. Dr. Karl Aiginger, Leiter des Instituts für Wirtschaftsforschung (Wifo)
... wurde am 23. Oktober 1948 in Wien geboren. Sein Studium der Volkswirtschaft absolvierte er an der Universität in Wien und an der Purdue University in Indiana, USA. Das Thema seiner Dissertation war 'Unternehmerverhalten bei Investitionsentscheidungen'. Seine Habilitation erwarb er 1984 mit "Production Theory under Uncertainty" (diese ist auch als Buch bei Blackwell erschienen). Professor Aiginger begann 1970 als Wirtschaftsforscher am Österreichischen Institut für Wirtschaftsforschung (WIFO). Seine wissenschaftlichen Schwerpunkte sind Industrieökonomie und Wettbewerbsfähigkeit und er hat für viele Jahre für die Europäische Kommission die Berichterstattung über die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie betreut. Professor Aiginger absolvierte mehrmals Gastprofessuren in den USA (Stanford University, MIT, UCLA), ist Gastprofessor an der Wirtschaftsuniversität Wien und Honorarprofessor an der Universität Linz (Österreich). Er ist (gemeinsam mit Marcel Canoy) Herausgeber des JICT (Journal of Industry, Competition and Technology).