Die „Quantitative Lockerung“ dürfte zwar quer durch alle Risiko-Klassen zu steigenden Vermögenspreisen führen, nicht aber zu steigenden Inflationsraten.
Wie im ersten Teil unserer Mini-Serie beschrieben, erhöhen die Anleihenkäufe die sogenannte Zentralbank-Geldmenge. Diese auch „Geldbasis“ genannte engste Geldkategorie besteht aus den ausgegebenen Banknoten und den Guthaben der Geschäftsbanken bei der Notenbank. So sind die Banken grundsätzlich verpflichtet, auf ihren „Reservekonten“ bei der Notenbank eine bestimmte „Mindestreserve“ zu halten, die von der Höhe der von ihnen gehaltenen Kundeneinlagen abhängt. Die darüber hinausgehenden Zentralbank-Guthaben werden als „überschüssige Reserven“ bezeichnet, die für die Banken grundsätzlich einen Kostenfaktor darstellen, weil sie Eigenkapital binden und dabei keine oder nur minimale Erträge abwerfen. Bis zur Krise von 2008 hatten die Geschäftsbanken deshalb auch versucht, ihre überschüssigen Reserven zu minimieren, weshalb die EZB die Geldbasis auch weitgehend auf diesen Mindestbedarf beschränkt hatte.
EZB-Anleihenkäufe: „Überschüssige Reserven“, Privatkredite und Inflation?
Die „neoklassische“ Geldtheorie, wie sie an den meisten Hochschulen gelehrt wird, unterstellt nun einen direkten Zusammenhang zwischen Zentralbankgeldmenge und Konjunktur, was von Notenbankern oft auch als Hauptargument zugunsten des „Quantitative Easing“ herangezogen wird. Denn wenn die Zentralbank die Geldmenge erhöht und dadurch „überschüssige Reserven“ erzeugt, würden die Banken ihre Überschüsse durch steigende Vergaben an reservepflichtigen Krediten reduzieren wollen. Dank dieser Kreditvergaben würde der Privatsektor nun mehr investieren und konsumieren können, was für das erwünschte Wachstum sorge. Als Problem sieht die neoklassische Theorie hier nur, dass die zusätzliche Nachfrage die Realwirtschaft irgendwann an ihre Kapazitätsgrenzen stößt, was zu steigenden Löhnen und Preisen und damit zu Inflation führen müsste.
EZB-Anleihenkäufe: Kapazitätsgrenze noch weit entfernt
Allerdings scheint dieser Zusammenhang aktuell nicht gegeben zu sein. So macht einerseits das Ereichen der Null-Zins-Linie nicht nur ein weiteres Absenken der Leitzinsen unmöglich, es senkt auch die Kosten der überschüssigen Reserve für die Banken. Noch mehr – das zeigt jedenfalls das Beispiel der USA – wird die neoklassische Wachstumsförderung aber dadurch verringert, dass die von den Banken als kreditwürdig erachtete privaten Wirtschaftssegmente ihre Schulden derzeit lieber abbauen wollen, als neue aufzunehmen, weshalb auch die Inflationsängste eher unbegründet sein dürften. Denn aktuell arbeitet die europäische Wirtschaft weit unter ihrer Kapazitätsgrenze und selbst im erfolgreichsten Eurozoneland Deutschland lag die Arbeitslosigkeit zuletzt noch bei 4,9 Prozent. Würden Preise und Löhne in einigen Eurozoneländern aber dennoch zu sehr anziehen, müsste das von einer erheblich besseren Konjunkturlage begleitet sein, womit das Ziel der EZB letztendlich erreicht wäre.
Zudem müsste es der EZB dann auch möglich sein, ihre Anleihenbestände abzubauen. Wobei die EZB vielleicht sogar für einen Ausgleich der wohl weiterhin unausgeglichenen europäischen Wachstumsdynamiken sorgen könnte, indem sie gezielt Anleihen der am stärksten von Kapazitätsengpässen betroffenen Staaten abverkauft, was allerdings kaum ohne massive Streitereien abginge.
EZB-Anleihenkäufe: Kredite fließen in die Finanzmärkte
Mittlerweile geben aber auch führende Notenbanker zu, dass die realwirtschaftlichen Effekte des „Quantitative Easing“ vor allem auf den sogenannten „Vermögenseffekten“ beruhen, also auf steigenden Ausgaben aufgrund steigenden Vermögens. Denn obwohl die Fed ausschließlich US-Staatsanleihen bzw. staatlich garantierte Papiere gekauft hat, sind die Vermögenspreise in den USA durch die Quantitative Lockerung quer über alle Risiko-Segmente angestiegen. Dafür waren einerseits direkte Effekte verantwortlich, wobei die Nachfrage der Fed die bestehende Nachfrage in risikoreichere Anlagen gedrängt hatte, was wiederum deren Preise hatte steigen lassen. Noch stärker waren aber die indirekten Effekte, die aus der höheren Geldmenge resultierten. Denn wenn die Banken zusätzliche Kredite vergeben hatten, dann an den Finanzsektor, wo sie zur Finanzierung von Finanzinvestitionen genutzt wurden, die ihrerseits als Sicherheiten für diese Kredite dienten. Hier hatten sich besonders die schlechtesten Risikoklassen der höchsten Zuflüsse erfreut, wovon vor allem niederklassige Unternehmensanleihen, Aktien und Investitionen in den „Emerging Markets“ profitiert hatten.
EZB-Anleihenkäufe: Macht die Wall Street einen Strich durch die Rechnung?
Darin liegt wohl auch das kritische Moment des europäischen Programms. Denn während von Kapazitätsbeschränkungen und steigender Inflation in den USA bislang noch immer so wenig zu bemerken ist, dass Analysten inzwischen an baldigen Zinserhöhungen zweifeln, erscheint die Luft in den meisten Finanzmarktsegmenten mittlerweile doch bereits als ziemlich dünn – was von US-Kritikern der Anleihenkäufe als deren größte Gefahr betrachtet wird. Käme es nun zu einer kräftigeren Preisbereinigung, dann wären die europäischen Märkte wohl ebenfalls stark betroffen, auch wenn sie noch lange nicht so großzügig bewertet sind, wie jene der USA. Bleiben derartige Probleme aber aus und keimt vielleicht sogar etwas Konjunkturhoffnung auf, dann könnten die Aktienmärkte wie in den USA wohl stärker von den Anleihekäufen profitieren, als die Anleihemärkte.